Der Fuß, die menschlichste Gliedmaße

Jahrbuch für Goetheanismus 2001, 2001, P.296-315 | DOI: 10.18756/jfg.2001.296

Zusammenfassung:


Zwei Weltenkräfte wirken besonders auf die Natur und den Menschen ein: die Schwerkraft und das Licht. Gegen die eine wehren sich Pflanze und Mensch mit der aufrechten Haltung. Die Energie des anderen wird durch die Fotosynthese des Pflanzenblattes zuerst in Zucker eingefangen, und aus diesem entstehen in den Lebewesen alle notwendigen Stoffe. Die Orthopädie hat als Grundfunktionen des Fußes Stützen und Bewegen erkannt, in dem einen wirkt die Schwerkraft, in dem anderen das verwandelte Sonnenlicht als Energiequelle für alle aktiven Körperbewegungen. Der Muskel setzt die solare Energie aus dem mit der Nahrung aufgenommenen Zucker oder seinen Sekundärprodukten wieder frei.

Calcium ist eine Substanz mit besonderer Beziehung zur Schwerkraft und zum Knochen. Im schwerelosen Raum nimmt der Knochen kein Calcium auf. Selbst im Erdschwerefeld leistet er mit einem Minimum an Substanz ein Maximum an Arbeit. Der Knochen hat aber im Phosphor, der sich mit dem Calcium zum Phosphat verbindet, auch Lichtwirkung aufgenommen. Im Senken und Aufsetzen des Fußes kommen vor allem die Schwerkraft, im Abstoßenund Heben vor allem die Bewegung als Urgesten des Stehens und Gehens zum Ausdruck.

Wie wechselt der Fuß vom Stützen zur Bewegung über? Wie verbindet er die irdische, der Schwerkraft verfallenen Ferse mit den nach oben, von der Erde weg und damit zur Sonne strebenden Zehen? Der Fuß ist in einen hinteren, kubischen und einen vorderen röhrenartigen Formbereich gegliedert, die durch Bänder eng und leicht elastisch verbunden sind. Beide Bereiche grenzen ungefähr in der Fußmitte an der Lisfranc'sche Linie aneinander. Dieser einfache Gegensatz der Knochen scheint für eine Tragefunktion nicht das Geeignetste zu sein und wird durch eine weitere, quer verlaufende Gliederung optimiert.

Von den fünf Zehenstrahlen schließen sich die beiden äußeren, im Fersenbein entspringenden und die drei inneren, vom höher gelegenen Sprungbein umgehenden, 7.n 7.wui Gruppen mit verschiedenen Eigenschaften znsannnm. Der höher gelugene stellt den größten 'l'cil des federinlen Fußgewölbcs, tler tiefere bildet den tragenden äußeren Fnßrnml. Der Keilbcinriegel gibt klare Allhl-Itllllt über das (iewöllw: |uri|liirmige Knochen halten das Guwüllac statisch. Die vorderen I‘liiehun derselben Knochen dienen dynamisch der Fortbewegung.

Die vermittelnde Vielseitigkeit der Keilbeine begleitet uns weiter. Besonders reich ausgestattet ist das transversale Fußwurzelgelenk, das zu der knöchernen Federung eine aus Bändern hinzufügt. Es gliedert den Fuß von dem Sprung- und dem Fersenbein ab. Wieder haben die beiden Fußstrahlen verschiedene Funktionen: Der erste federt dank seiner Bänder, der zweite bewegt den äußeren Fußrand mit einer Drehung, senkt die Gewölbehöhe und führt schließlich durch Straffung seiner Haltebänder beim gehenden Menschen zu einer stabilen Stützung seines Gewölbes.

Eine federnde Sehnenplatte, die auch von Muskeln gestrafft werden kann, ein Stützknochen, der das Gewölbe hält, eine bewegende Sehne, die zugleich einen Plattfuß verhindert, ein Körperschwerpunkt, der beim Gehen in einer rhythmischen Bewegung 4 cm hohe Kreise beschreibt - sie alle weisen auf ein Wesensglied, das zwischen Statik und Bewegung, zwischen Erde und Himmel eine rhythmische Mitte bilden will: die Ich-Organisation, welche dem Menschen den nur ihm eigenen schwingenden, aufrechten Gang statt hoher Laufgeschwindigkeit verleiht. Das ausgleichend-federnde Element muss auch in den Übungen, die die Gehfunktion erhalten, die Hauptrolle spielen und in den orthopädischen Gehhilfen zur Wirkung kommen.
 

Referenzen

  • BENNINGHOFF, A. (1944): Lehrbuch der Anatomie des Menschen, Bd. I (Allgemeine Anatomie im Bewegungsapparat). München, Berlin
  • RAUBER-KOPSCH (1987): Anatomie des Menschen, Bd. 1. Stuttgart, Leipzig
  • SPALTEHOLZ, W. (1932): Hand-Atlas der Anatomie des Menschen, Bd. 1. Leipzig
  • WESTENHÖFER, M. (1942): Der Eigenweg des Menschen. Berlin