Die Blutwurz, Potentilla erecta (L.) Räuschel.

Über die Fähigkeit, Polaritäten miteinander zu verbinden
Jahrbuch für Goetheanismus 2015, 2015, P.103-150 | DOI: 10.18756/jfg.2015.103

Zusammenfassung:

Die Blutwurz, Potentilla erectca (L.) Räuschel. Über die Fähigkeit, Polaritäten miteinander zu verbinden

Die Blutwurz, Potentilla erecta, zählt zu den Rosengewächsen, unterscheidet sich aber morphologisch und physiologisch in allen Organen von ihren Verwandten. Sie wächst nach dem »Durchdringungsprinzip«, das heißt, dass das »Kosmisch- Seelische« der Pflanze tief und früh die Pflanze berührt und damit ihre vegetativen Prozesse modifiziert. Bei einer ausgegrabenen Blutwurz fällt als Erstes die Diskrepanz zwischen dem dicken, knolligen, schweren Rhizom und den dünnen, schlaffen, gabelig verzweigten Blütentrieben auf. Der aufrechte, in Knoten und Internodien gegliederte Spross einer typischen krautigen Pflanze ist bei der Blutwurz in zwei Richtungen hin abgewandelt. Einerseits ist er als Rhizom gestaut und in die Erde verlagert, andererseits tritt er oberirdisch in vielen, generativ überformten Blütentrieben in Erscheinung. Die Blutwurz strebt eine Polarisierung zwischen ihrem ober-und ihrem unterirdischen Lebensbereich an. Die an den Trieben sitzenden Blättchen sind fünfzählig, weil sich Stipeln (Unterblatt) und Fiedern (Oberblatt) gemeinsam zu ausstrahlenden »Kränzen« formen, die gelben Blüten dagegen sind in der Regel vierzählig. Im oberirdischen Lichtraurn führt die »Durchdringung« zu einer Betonung des Form-aspekts, da während der Reife der Früchtchen deutlich gegliederte, dichasiale Verzweigungsmuster entstehen, in denen sich die anfängliche Asymmetrie der Fortsetzungstriebe zu annähernd gleichschenkligen Gabelungen auswächst. Gleichzeitig geht die Blutwurz aber beweglich und spielerisch mit ihren Bildeprinzipien urn, denn die Triebe wachsen scheinbar chaotisch durcheinander. Unterirdisch überwiegt dagegen im gestauten Rhizom der Substanzaspekt, die »seelische Berührung« äußert sich dort in der Anreicherung von verschiedenen Gerbstoffen (bis zu 25% ), die den sogenannten »Holzkörper« des Rhizoms rosa bis blutrot färben. Trotz seiner erstaunlichen Härte enthält das Rhizom jedoch nur wenige wirklich verholzte und damit abgestorbene Zellen. Der Übergang vom unter- zum oberirdischen Bereich wird durch dreifiedrige Blättchen vermittelt, die nur im Frühling oder Herbst als Oberblattantcil der unterirdischen Schuppenblätter heranwachsen. Neben der Polarisierung in Form- und Substanz-Pol lebt die Blutwurz auch die Verbindung von zentripetalen und zentrifugalen Prozessen vor. Dies weist auf ihre Verwendung als Heilpflanze bei Entzündungen und Blutungen von Haut und Schleimhaut.

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