Über den harmonischen Einklang von Vogelstimme und Flugbewegung

Goethes Kompensationsprinzip und der Umgang mit schwierigen Angaben Rudolf Steiners
Jahrbuch für Goetheanismus 2020, 2020, P.103-122 | DOI: 10.18756/jfg.2020.103

Zusammenfassung:

Als klassisches Beispiel für Goethes Kompensationsprinzip gelten die Hühnervögel. Die luxurierende Gefiederpracht der Männchen, zum Beispiel von Auerhuhn, Goldfasan und Pfau, ist im engen Verhältnis zu sehen mit dem zunehmend aufwändigen Balzverhalten und der abnehmenden Beteiligung an der Brutfürsorge. Allerdings ist es unzutreffend, wenn auch angenommen wird, die Stimme eines Vogels sei umso einfacher, je prachtvoller das Federkleid ausgebildet ist. Es wird dargestellt, dass das Goethe‘sche Kompensationsprinzip nicht für den Zusammenhang von Gesang und Prachtkleid besteht, dass aber eine Korrelation von Gesang und geselligem Verhalten erkennbar ist, weil der Vollkommenheitsgrad des Gesangs mit dem Grad der Geselligkeit des Vogels im umgekehrten Verhältnis steht. Ferner ist es nicht leicht, Singvögel nach ökologischen Aspekten einzuordnen, also generell zu sagen: Vögel, die ein gleiches Gebiet bewohnen, haben auch den gleichen Gesangsstil. Und noch schwieriger wird es, wenn wir die Ansicht vertreten, dass die Bewegung eines Vogels, speziell eines fliegenden Vogels, mit seinem Gesang korreliert. Rudolf Steiner sprach sogar vom harmonischen Einklang, der sich ergibt, wenn wir die Stimmgestaltung der Vögel mit der Flugbewegung vergleichen. Das lässt sich bei den meisten der ca. 10.000 Vogelarten nicht feststellen. Von einigen Singvögeln ist aber eine spezielle Verhaltensweise ausgebildet worden, die der Aussage Rudolf Steiners sehr nahe kommt und auf die ausführlicher eingegangen wird.

Referenzen

  • Altum, B. (1937): Der Vogel und sein Leben (Bildungs- und Lebensgesetze). 6. bearb. Aufl., Münster
  • Csicsáky, M. (1978): Über den Gesang der Feldlerche (Alauda arvensis) und seine Beziehung zur Atmung. Journal für Ornithologie 119: 249–264
  • Darwin, C. (1859): Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um’s Dasein. Übers. v. J. Victor Carus. 8. Aufl., Stuttgart (1899)
  • Frieling, H. (1937a): Stimme der Landschaft. Begreifen und Erleben der Tierstimme vom biologischen Standpunkt. München
  • Frieling, H. (1937b): Harmonie und Rhythmus in Natur und Kunst. München
  • Glutz von Blotzheim, U. N. (1991): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd. 12/II. Wiesbaden
  • Goethe, J. W. v. (1820): Metamorphose der Tiere. Zur Morphologie, Bd. 1. Hamburger Ausgabe, hrsg. v. E. Trunz. 13. Aufl., Bd. 1. München (1982)
  • Hoffmann, B. (1908): Kunst und Vogelgesang in ihren wechselseitigen Beziehungen vom naturwissenschaftlich-musikalischen Standpunkte beleuchtet. Leipzig
  • Husemann, F., Wolff, O. (1986): Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst: Entwurf einer geisteswissenschaftlich orientierten Medizin. 9. Aufl., Bd. 1. Stuttgart
  • Kipp, F. A. (1941): Über die Pfahlstellung der Rohrdommeln und verwandte Erscheinungen. Beiträge zur Fortpflanzungsbiologie der Vögel, 17(3): 101–105. In Schad, W. (1983): Goetheanistische Naturwissenschaft, Bd. 3 (Zoologie). Stuttgart
  • Kipp, F. A. (1942): Das Kompensationsprinzip in der Brutbiologie der Vögel. Beiträge zur Fortpflanzungsbiologie der Vögel 18(2): 52–59. In Schad, W. (1983): Goetheanistische Naturwissenschaft, Bd. 3 (Zoologie). Stuttgart
  • Kneutgen, J. (1969): »Musikalische« Formen im Gesang der Schamadrossel und ihre Funktionen. Journal für Ornithologie 110: 245–285
  • Rosslenbroich, B. (2018): Entwurf einer Biologie der Freiheit. Die Frage der Autonomie in der Evolution. Stuttgart
  • Rosslenbroich, B. (2020): Perspektiven einer Biologie der Freiheit. Autonomieentwicklung in Natur, Kultur und Landschaft. Stuttgar
  • Steiner, R. (1920a): Entsprechungen zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos. Der Mensch – eine Hieroglyphe des Weltenalls (GA 201), Vortr. 1. Mai 1920, S. 101. 2. Aufl., Dornach (1987)
  • Steiner, R. (1920b): Fachwissenschaften und Anthroposophie (GA 73a), Vortr. 17. Juni 1920: Geisteswissenschaft, Naturwissenschaft und Technik. Aussprache, S. 412–413. 1. Aufl., Dornach (2005)
  • Steiner, R. (1924): Sprachgestaltung und Dramatische Kunst (GA 282), Vortr. 15. Sept. 1924: Gebärde und Mimik aus der Sprachgestaltung heraus, S. 252. 4. Aufl., Dornach (1981)
  • Streffer, W. (2003): Magie der Vogelstimmen. Die Sprache der Natur verstehen lernen. Mit Vogelstimmen-CD. 3. Aufl., Stuttgart (2018)
  • Streffer, W. (2007): Entwurf zu einer Biologie der Freiheit am Beispiel der Singvögel. Zur Differenzierung des Reviergesangs. Jahrbuch für Goetheanismus 2007: 33–76. Neu abgedruckt in Rosslenbroich (2020), Perspektiven einer Biologie der Freiheit. Autonomieentwicklung in Natur, Kultur und Landschaft, Stuttgart
  • Streffer, W. (2009): Klangsphären. Motive der Autonomie im Gesang der Vögel. Stuttgart
  • Streffer, W. (2016): Über die Art hinaus. Die Bedeutung intelligenter Individuen für die Evolution der Tiere. Stuttgart
  • Streffer, W. (2019): Heimische Singvögel. Wie, wann und wo sie singen. Stuttgart